Eine enge Beziehung zur Volksrepublik China (VRC) spielte eine wichtige Rolle in der Außenpolitik der DDR am Anfang des Kalten Krieges. Der ostdeutsche Staat charakterisierte ihre Allianz mit der VRC mit ideologischen Symbolen wie „Freundschaft“, „Brüderlichkeit“ und sogar „Liebe“. Dennoch diente ein positives China-Bild weniger dem tiefgehenden Verständnis der chinesischen Lebensart als vielmehr der Legitimierung der DDR bzw. der Kennzeichnung der ostdeutschen Weltoffenheit und internationalen Anerkennung. Die kulturwissenschaftliche Theorie des Orientalismus, die Entwicklung der Gattung Reiseliteratur und die neue Konzeption von Rasse in der DDR in Betracht ziehend, analysiert die vorliegende Arbeit Gerhard Kieslings und Bernt von Kügelgens Reisebericht China (1957) als ein repräsentatives politisches Produkt, das direkt von der kurzfristigen Faszination der DDR für China inspiriert wurde. Die Abhandlung erklärt, dass die DDR einerseits eine vielversprechende neue Volksrepublik vor Augen führt, die als Folie der ostdeutschen Imagination für eine ideale sozialistische Gesellschaft in der Aufbauphase inszeniert wird. Andererseits schildern die Autoren ausführlich den Machtmissbrauch durch das Kaisertum sowie die gedankliche Rückst.ndigkeit der normalen Bürger in den dunklen Zeiten Chinas, was zur Abgrenzung und Abwertung des Anderen im Gegensatz zum Eigenen beisteuerte. In dieser Hinsicht verweist der Reisebericht auf einen Neo-Orientalismus, der China zwar oberflächlich als einen schnell heranwachsenden sozialistischen „Bruderstaat“ anerkennt, aber gleichzeitig an einigen in früheren Zeiten verbreiteten rassistischen Klischees festhält.